Stille und Klarheit – Zu einigen neuen Bildern von Hans-Joachim Billib

Seit den späten achtziger Jahren hat Hans-Joachim Billib in der Schleswiger Galerie von Sebastian Drum wiederholt neue Bilder vorgestellt. Diese erste Einzelausstellung beschränkt sich auf Arbeiten der kurzen Zeit von 1999 bis 2003. Sie konzentriert sich auf zwei Themen: Auf Stilleben und auf die Landschaft der Flensburger Förde. Es handelt sich um einen ausgewählten, begrenzten Ausschnitt des bisherigen Lebenswerks eines Malers, der im kommenden Jahr die Fünfzig erreicht und die respektable Ernte dreier Dezennien eingefahren hat. Der Ausschnitt mit einigen der neuen Gemälde belegt – wie die gesamte, bereits während des Studiums bei Klaus Fußmann zwischen 1973 und 1978 beginnende – Entwicklung des Künstlers die Kontinuität seines Sehens, sein unirritierbares Beharren auf der sichtbaren Welt als Grundlage der Malerei und auf einer realistischen, im Detail naturalistisch erscheinenden Darstellungs-Modalität.

Vor einem Vierteljahrhundert erschien die Überzeugung, dass sich die Malerei an der sichtbaren Wirklichkeit zu orientieren habe, noch als überholt, sogar als anachronistisch. Inzwischen erwies sich – wie so oft in der Geschichte der Kunst –, dass nach einer Phase schematischer Verallgemeinerungen der Blick auf die Realität zur Quelle neuer Entwicklungen werden kann. Solche Einsichten haben Vorurteile modifiziert, haben die Verdikte über eine dem Gegenstand verpflichtete Kunst ihrem neuen Verständnis Platz gemacht, zumindest in den Augen vieler Sammler und Beobachter. Aus den happy few wurde ein größerer Kreis derjenigen, die Malern wie Hans-Joachim Billib ihre Reverenz erweisen. Sie schätzen sein Verständnis der Landschaft als einer in den von ihm ausgewählten Ausschnitten noch intakten Lebensform ebenso wie die Selbstverständlichkeit seiner auf wenige, einfache Dinge ausgerichteten Stilleben.

Billib wuchs während der fünfziger/sechziger Jahre in der Stadtinsel Berlin auf, jedoch nicht zwischen ihren grauen Häuserblöcken, sondern in der von Feld, Wald und Wasser geprägten Ortschaft Reinickendorf. Wäre Berlin nicht so von seiner Umgebung abgeschnitten, wäre es nicht durch die Tristesse einer farblosen Stadt bestimmt gewesen, hätte die Landschaft von Reinickendorf ihn wohl weniger fasziniert. Sie bedeutete für ihn – vielleicht unbewusst – ein besonderes Erlebnis. Dass später die Stadt mit ihren Brandfassaden und Abrissbauten, mit den Schneisen der Todsstreifen und den alten, die Verbindung zur Außenwelt herstellenden Bahnhöfen für ihn ein ständiges Stimulans blieb, dass ihre Schrottplätze und Reklameflächen ihm ebenso Anlass zum Malen gaben wie ihre wenigen, aus ihrer Glanzzeit übrig gebliebenen Repräsentationsbauten, hat Billib in anderen seiner Bilder vor Augen gestellt. Sie wurden inzwischen historische Dokumente, denn nur wenige der von ihm gemalten Stellen des Stadtbildes erscheinen heute ebenso wie vor noch acht bis zwölf Jahren. Die oft stupende Veränderung macht die Zeit als Faktor des ständig Neuen gegenwärtig, das der Maler auf andere Weise in der Natur als Ambivalenz von Stetigkeit der Substanz und Wechsel der Jahreszeiten kennt. Die freie Natur, eine noch nicht zu sehr von der technischen Welt beeinträchtigte Landschaft war für ihn seit etwa 1980 die Region an der Flensburger Förde. Hier konnte und kann er dank der Gastfreundschaft seines Freundes und ehemaligen Lehrers Klaus Fußmann seiner Neigung zum Malen der Felder mit ihren Knicks, mit Baumgruppen und Wolken, mit den Fördeufern und den Blicken auf die offene Ostsee nachgehen. Er beobachtet die Jahreszeiten mit bestellten Äckern und Blütenfeldern, das strahlende Licht des Sommers und den verhangenen Dunst des vergehenden Tages, das Anlegen der letzten Fähre und die Verlassenheit der Strandkörbe. Wenn es sich auch um eine von Menschen geprägte Landschaft handelt, wenn ein Schiff auch auf die Geschäftigkeit einer Wasserstraße verweist – auf keinem der Bilder ist ein Mensch zu sehen. Die reine Landschaft ist dem Maler genug, sie ruht in sich.

Das Moment der Ruhe, des Anhalten des Augenblicks bestimmt, so scheint es, die neueren Bilder Hans-Joachim Billibs noch deutlicher als die früheren. Sie erscheinen als fester und tektonischer als die vorangegangenen. Ihr Horizont wird zum Ordnungsmaßstab. Das Nahe bezieht sich auf seine Weite, sein sich im Unendlichen verlierendes Licht erhellt auch den Vordergrund. Die Intensität der Beobachtung und die Genauigkeit der Malerei verleihen nicht selten der auf diese Weise gesehenen Landschaft etwas Unwirkliches.

Dass ein Maler, der die Landschaft als einen Zustand der Natur versteht, für das Stilleben prädestiniert ist, ergibt sich wie selbstverständlich. Ihre Ordnung, die von ihm in der Landschaft als Eigenschaft der Natur begriffen wird, stellt er in ihnen her, bevor er mit ihrer Darstellung beginnt. Vasen und Schalen vom Trödelmarkt, Weinflaschen, ein Weckglas, ein Tuch oder einen Brief, eine Waage oder eine Spirale, einen Stein, ein Stück Brot, einige Früchte platziert er im ruhigen nebeneinander auf dem Tisch. Für seine Bilder genügen ihm lauter Objekte, die er in seinem Alltag vorfindet. In ihnen steht die Zeit still, länger als in der Landschaft, unabhängig vom Augenblick und von den Jahreszeiten, frei von Dramatik, unprätentiös und so selbstverständlich, als sei die Dauer ihr einziger Maßstab.

Heinz Spielmann