Gegen den Strich

Immer wieder stellen wir fest, uns über das Aussehen der Dinge, über ihre Größe und Farbe getäuscht zu haben. In der Erinnerung werden sie für uns größer oder kleiner, farbfroher oder grauer. Die Dinge aus der Vergangenheit sind eingewoben in das Umfeld, in dem wir uns zu der jeweiligen Zeit bewegt haben, und sind für uns in ihrer Beschaffenheit schon damals bestimmt worden. Unser Wissen über die Dinge ist immer mit den Erinnerungen und den vergangenen Gefühlen verknüpft. Unsere Vorstellung darüber ist nicht objektiv.

Wenn ein Maler ein Bild malt, so fließt natürlich auch seine Erinnerung, seine vorgefaßte Meinung von den Dingen mit in die Darstellung ein. Er kann sich niemals seinem Subjektivismus entziehen, und er tut gut daran, sich dem auch nicht zu widersetzen. Auf der anderen Seite verlangen wir aber – oder schätzen es, wenn die Dinge in ihrer Erscheinung richtig abgebildet sind. Was formal richtig oder falsch ist, haben wir in Normen festgelegt. Es kann hier nicht die Stelle sein über die Fragwürdigkeit solcher Normen nachzudenken, sondern wir nehmen sie einmal als gegeben an. Sofort ist es zum Beispiel auf einem Bilde sichtbar, wenn Beine oder Arme bei einer Figur zu lang oder der Kopf zu groß ist. Genauso fällt uns auf, wenn die räumlichen Distanzen nicht glaubwürdig und die Gesichter verzeichnet sind, die Farben nicht stimmen. Ein Maler, dem es gegeben ist, alle Dinge richtig in Form und Farbe darzustellen, wird ein "Könner" genannt. Raphael war ein solcher, an der "Schule von Athen" kann man das wahrhaftig sehen. Auch Rubens malte mühelos alles, was er wollte, niemals stimmt bei ihm die Ellipse eines Wagenrades nicht oder wirkt eine Hand verkrüppelt. Dann wäre Dürer mit seiner Präzision zu nennen und weiter: Holbein, Goya, Menzel, Waldmüller, Picasso, Leibl und etliche andere. Sie alle waren in der Lage, traumhaft sicher die Dinge darzustellen.

Ähnlich leicht, wenn auch vielleicht in anderer Art wie die genannten, fällt es Hans-Joachim Billib die Dinge zu malen. Ich erinnere noch mein Erstaunen, als ich zum ersten Male diese doch sehr seltene Begabung bei ihm wahrnahm. Es fällt ihm überhaupt nicht schwer die Dinge richtig wiederzugeben. Er kann alles malen was er will und genau das ist auch gleichzeitig sein Problem. Ähnlich wie ein Hecht im Stichlingsschwarm sich nur schwer auf einen Fisch konzentrieren kann, so ist es für Billib schwierig sich auf ein Thema zu beschränken. Zu vielschichtig und zu vielseitig interessant erscheint ihm die Welt, und immer wieder ist er deshalb bereit ein neues Experiment zu beginnen. Hans-Joachim Billib selbst weiß darum ganz genau und sucht dem zu entgehen. So ist es nicht verwunderlich, wenn seine Vorbilder in der Malerei nicht die großen Talente sind, sondern die, die sich mit der Form schwer taten. Vor allem der Leidenschaft Vincent van Goghs gilt seine Bewunderung, aber auch mit dem Werk von Francis Bacon hat er sich intensiv auseinandergesetzt. Hans-Joachim Billib steht also mit seinem Talent im Lager des Naturalismus, doch sein Denken kreist fortwährend um die Malerei des Expressionismus. Dieser Maler ist gespalten, und in dieser Ambivalenz entstand und entsteht seine Kunst. An ihr bewundern wir einerseits die sichtbare Leichtigkeit der Darstellung, andererseits erkennen wir aber auch; wie sich kontrapunktisch immer wieder das Wissen einschiebt, daß die Dinge in ihrer Dreidimensionalität belanglos sind. Der Maler hebt deshalb während des Malvorgangs die Magie der Dinglichkeit auf.' Und so zerwühlt er wieder die gemalten Grasflächen, die Baumstämme, die Steine, zerpflügt wieder die Jacken und Hosen der Personen und zerstört ihre Gesichter. Ein hartes Ringen gegen die Form ist in jedem seiner Bilder sichtbar. Den Dingen zu entrinnen ist sein Anliegen; sie holen ihn immer wieder ein, und so macht er sich wieder aufs Neue auf den Weg. Auf diesem Wege gelingen ihm die schönsten Arbeiten. Sie haben noch das Zögern dessen, der viel von dem Aussehen der Dinge weiß und zugleich die aus- brechende Kraft, diese Ansicht zu überwinden.

Klaus Fußmann